Sonntag, 10. Juli 2011

Reichsgesetzblatt

Über die Reichsgesetzblätter wurden amtliche Mitteilungen, bzw. Beschlüsse der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 und des Reichstages des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1945 publiziert. Herausgeber waren zunächst das Reichsministerium der Justiz, später das Reichsministerium des Inneren. Besondere Berühmtheit dürften das 1878 verabschiedete "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", auch als Sozialistengesetz bezeichnet sowie das 1933 in Kraft getretene Ermächtigungsgesetz erlangt haben, die ebenfalls per Reichsgesetzblätter herausgegeben wurden.Wer weitergehendes Interesse hat, kann hier eine Liste mit veröffentlichten Reichsgesetzblättern einsehen.

Heutzutage, in Zeiten einer scheinbar politisch grundlegenden Neuausrichtung, wirken Reichsgesetzblätter im kollektiven Bewusstsein wie altertümliche Relikte, eine schlechte Erinnerung, die schwer mit dem modernen und demokratischen Deutschland vereinbar sind, obwohl das Bundesgesetzblatt,  nach Konsolidierung der Bundesrepublik Deutschland, welches nach wie vor veröffentlicht wird, in Nachfolge des Reichsgesetzblattes steht. Alle bisher erschienenen Bundesgesetzblätter ab 1949 sind übrigens hier einsehbar.

Das Reichsgesetzblatt ist im Prinzip genauso neutral wie das Bundesgesetzblatt zu bewerten, jedoch stößt man sich an dem darin vorkommenden Wort "Reich". Auch das Format - nicht zuletzt wegen der Deutschen Kurrent- bzw. Sütterlinschrift - ruft allgemein eher negativ konnotierte Erinnerungen wach, da es an prä-bundesrepublikanische Zeit erinnert, also alles, was vor 1949 war. Zur Veranschaulichung mal ein Beispiel:

Dies ist das Reichsgesetzblatt Nr. 21 vom 24.
August 1896, das das "Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche" zum Inhalt hat.
Bildquelle: Wikipedia.

Daran anknüpfend habe ich vor einiger Zeit die Idee ersonnen, Flugblätter herzustellen und auszuhängen, wobei ich mich stilistisch an dem oben gezeigten Reichsgesetzblatt bediente. Meine Intention war, durch das kontroverse Erscheinungsbild des Flugblattes zunächst Aufmerksamkeit und dann Interesse beim Betrachter zu erzeugen. Das Flugblatt scheint allerdings nur auf den ersten Blick identisch mit seinem historischen Vorbild. Der größte Unterschied liegt in der Diktion, da mit dem Flugblatt ein gänzlich anderer Inhalt transportiert wird, als beim historischen Reichsgesetzblatt. 

Als Vergleich hier das von mir erstellte Flugblatt:


Leider wurden ausnahmslos alle der 40 ausgehangenen Flugblätter in Berlin innerhalb eines Tages wieder abgerissen, zerstört und weggeschmissen, da das Erscheinungsbild des Blattes wohl doch für größeren Unmut sorgte, als ich dachte. Vermutlich gingen die meisten Betrachter davon aus, dass dem Projekt eine rechte Gesinnung zu Grunde lag, doch dem ist absolut nicht so, da ich der Überzeugung bin, dass, wenn sich der Nebel lichtet, das Scheitern der polarisierenden und doch so ähnlichen Ideolgien der linken und rechten Strömungen deutlich wird. Um Missverständnisse auszuräumen, möchte in an dieser Stelle meine Gedanken und Motive zu dem Flugblatt erläutern. Ursprünglich war vorgesehen das Flugblatt periodisch in fortlaufenden Ausgabennummern erscheinen zu lassen, doch werde ich wegen der ausgesprochen negativen Resonanz davon absehen und zukünftig über diesen Blog publizieren. Wer mag, kann sich über diesen Link das Flugblatt im PDF-Format anschauen, respiktive runterladen.

Auffällig ist zunächst die starke stilistische Ähnlichkeit der Kopf- und Betreffzeile sowie der Überschrift. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass sich der Wortlaut vom Original abhebt, was vor allem in der Einleitung deutlich wird. So heißt es im Original 

"Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: [...]".

"Von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc." soll die Herrschaft des Monarchen als Wille Gottes und seine Unfehlbarkeit suggerieren. Dieses Gottesgnadentum ist charakteristisch für die absolutistische, bzw. in diesem Fall wilhelminische Epoche und hat in Zeiten von Bilderberg-Konferenz, Lissabon-Vertrag, Finanzkrise und damit einhergehender Zerstörung des Sozialstaates nichts an Aktualität verloren.
In scharfer Abgrenzung dazu habe ich die Einleitung beim Flugblatt gänzlich anders formuliert:

"Wir Preußen, deutsches Volk, Gott mit uns verlangen im Namen Deutschlands, aufgrund gemeingefährlicher Bestrebungen des Bundesrats und des Bundestags, was folgt: [...]".

Zugegeben, der Wortlaut polarisiert aufgrund seines deutsch-nationalen Klanges. Wie schon erwähnt basiert das Flugblatt auf dem oben vorgestellten Reichsgesetzblatt, weshalb ich bewusst die gleiche Semantik wählte. Im Gegensatz dazu soll die Einleitung nicht den Eindruck erwecken, dass das Flugblatt von "übergeordneter" Stelle publiziert wurde, sondern aus der Mitte des Volkes, der Bürger, entspringt. "Wir Preußen, deutsches Volk" soll das unterstreichen, da Preußen bis 1918 maßgeblich die Geschicke in Deutschland bestimmte und alle Bewohner Preußens eben auch als Preußen bezeichnet wurden, wobei in manchen Teilen Deutschlands, wie Bayern, diese Bezeichnung für alle Mittel- und Norddeutschen gebraucht wurde. Zum anderen ist es eine Anlehnung an den preußischen Freiheitsgedanken, der im Preußen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen seinen Ursprung hat, sich unter Freiherr vom Stein in der Phase der preußischen Reformen fortsetzt und bis zur Deutschen Revolution 1848/49 reicht. Der später perverse Ausmaße angenommene preußische Militarismus und Imperialismus unter Wilhelm II. ist hiermit nicht gemeint, sondern der zivil-couragierte Selbstfindungsprozess zur eigenen, politischen Identität des grundrechtberechtigten Bürgetums. 

Aufgrund bereits kurz angeschnittener aktueller poltischer Entwicklungen, die mit Sorge zu betrachten sind, hatte ich die Idee das Ganze "im Namen Deutschlands" zu formulieren, wobei "Deutschland" nicht synonym zum Staat und seiner Gewalten verstanden werden möchte, sondern polysem als von den Menschen seit Jahrtausenden geschöpftes Kulturgut. Anstelle des Gottesgnadentums tritt der Wahlspruch "Gott mit uns", was in der Fußzeile mit dem lateinischen Spruch "Vox populi vox dei" (Volkes Stimme ist Gottes Stimme) ein Aufbegehren des Volkes gegen das Primat der Ökonomie unterstreichen soll, das statt dessen eine Rückkehr zum Primat der Politik fordert.

Ich hatte die Vision, ein ähnliches Verständnis zur politischen Identität der Menschen zu schaffen und versuchte diesen Freiheitsgedanken in die Gegenwart zu projizieren, da sich die Verhältnisse zunehmend zum Feudalstaat rückentwickeln. Früher bestimmte der Gutsherr über seine ihm zum Gesindedienst verpflichteten Bauern, die nichts mehr als Leibeigene waren und nicht mal ohne Zustimmung ihres "Herren" heiraten durften; heute haben der Arbeitgeber, der Manager, der Vorstand usw. diese Position eingenommen. Ihr Einfluss auf die Politik ist derart groß, dass sie ungeniert ihre Vorstellungen einer Marktwirtschaft diktieren können. 
Das hat Minijob, Lockerung, bzw. Aufhebung des Kündigungsschutzes, kein rechtlich festfelegter Mindestlohn, Beschneidung des Sozial- und Gesundheitssystems und staatlich subventionierte Unterbezahlung zur Folge. Abgesehen von einer Minderung der Lebensqualität und weniger Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben partizipieren zu können, wird somit ein Bedrohungsszenario geschaffen, da die berufliche Zukunft ungewiss ist, was sich bis hin zu existenziellen Ängsten steigern kann. Es ist ganz klar, dass unter diesem Eindruck wenig bis keine Zeit bleibt um sich mit politischen Belange zu befassen, da der Mensch zum Großteil damit beschäftigt ist, irgendwie über die Runden zu kommen. Das entfremdet nicht nur die Menschen voneinander, sondern sorgt auch dafür, dass sich der Mensch immer hilf- und hoffnungsloser fühlt. Das kürzlich beschlossene Sparpaket der Bundesregierung unter Union und FDP wirkt sich sicher nicht förderlich auf diese um sich greifende Lethargie aus. 

Ich unterstelle, dass dieses unsoziale und teilweise unmenschliche Handeln der Regierung nur darauf abzielt, das Vertrauen der Menschen in die Demokratie zu untergraben, um dereinst Stück für Stück die Demokratie abzubauen, bis die Zeit für ein neues, totalitäres System in einem Europa der vereinigten Staaten gekommen ist. Bei genauerer Konsultation des Vertrages von Lissabon lassen sich in diese Richtung weisende Tendenzen erkennen. Um dies abzuwenden, appeliere ich an die Gesellschaft, an die Menschen, es nicht so weit kommen zu lassen. Der aufgestaute Unmut sollte über einen konstruktiven Kanal abgeleitet, der Gewalt abgeschworen werden, denn gewaltätige Ausschreitungen führen nur zu weiteren Repressalien, haben nur weitere Beschneidungen der Bürgerrechte und eine Ausweitung des Überwachungsstaates zur Folge. Stattdessen sollten sich die Menschen in Gruppen engagieren und keinen Keil zwischen sich und andere treiben lassen, egal, welcher sozialen, ethnischen oder religiösen Herkunft sie sein mögen. Außerparlamentarische Opposition ist ein guter Weg, um die rechtmäßige Basisdemokratie unter Bezug auf Artikel 20 (2) einzufordern:

"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."

Das Volk ist der souveräne Träger der Staatsgewalt und niemand sonst!


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